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Soft Bodies. Aspekte des Textilen in den Skulpturen David Mergelmeyers  

Sebastian Hammerschmidt | 2023

In einem kurzen Artikel bindet Gunta Stölzl 1931 die Entwicklung neuer Stoffe und damit die Notwendigkeit zum Experiment eindrucksvoll an die Materialität des Textilen selbst: „diese lebendigkeit der materie zwingt den textilmenschen täglich neues zu versuchen, sich immer wieder umzustellen, mit seiner materie zu leben, sie zu steigern, von erfahrung zu erfahrung zu klettern um so den bedürfnissen, die in der zeit liegen, gerecht zu werden.“ Heute muss solch ein emphatischer Anspruch an das was? textil-künstlerischer Produktion entschieden reformuliert werden. Das Textile ist derart allgegenwärtig geworden – jenseits des Kunstfelds, jenseits von Design und den diversen Spielarten von Fashion, jenseits auch der kulturwissenschaftlichen Diskurse, als Material und Technik, Metapher und Medium –, dass zuallererst die Frage ist, was überhaupt noch ernsthaft in Frage kommt in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dieser, sagen wir der Einfachheit halber: denkbar basalsten Kulturtechnik. Für avanciertere künstlerische Positionen, die mit dem Textilen als solch einem „dichten Begriff“ umgehen, kann angesichts von so viel diskursiver Hyperpräsenz daher weniger von Interesse sein, was zu fabrizieren sei, sondern wie: wie Techniken und Strategien der Verknüpfung, des Ver- und Entwirrens von Kategorien des Textilen entwickelt, wie das Textile selbst neu verwoben und damit eine Verschiebung der Aufmerksamkeit vorgenommen werden kann, ohne dabei die vielfältigen Verbindungslinien, die mit ihm einhergehen, kappen zu müssen.

 

Die textilen Skulpturen David Mergelmeyers nehmen dieses wie? auf eine ebensoeinleuchtende wie anspielungsreiche Weise auf, indem sie das Textile als Konzept selbst befragen, sich von ihm entfernen, es wenden, prüfen, um dann unter neuer Perspektive zu ihm zurüc zukehren. Ausgangspunkt sind oft alltägliche, vordergründig vertraute textile Materialien und Gegenstände, die in ihrem skulpturalen Einsatz einer Relektüre unterzogen werden: ein pinkes, rüschenartig fallendes Plissee, das in Lofty (2023) in Manier eines Überwurfs lässig über einer bespannten Husse und Sofarekonstruktion abhängt, Schlingen und Schlaufen gleich mehrerer Synthetikseile, die in Scraper Black (2023) einen schwarzen Anzugstoff umgarnen. Adressiert werden mit solchen Verschiebungen die Kontexte und Konventionen, die die uns umgebenden Gegenstände so scheinbar mühelos handhabbar, die uns umgebenden Körper so scheinbar eindeutig lesbar machen – und uns zugleich darüber hinaus gehen lassen.

 

Dabei werden nicht nur neue Assoziationen freigesetzt, gewinnt nicht nur bereits die materiale Grundlage der Arbeiten eine neue, unvorher-
gesehene semantische Qualität. Mergelmeyer baut hier vielmehr konsequent auf die Hybridität des Textilen as a medium, kurz: dass verschiedene Materialen mittels unterschiedlicher textilkünstlerischer Techniken dazu gebracht werden, textile Grundfunktionen zu erfüllen (Reihung, Band, Decke, Naht). Historisch ist damit eine Position angesprochen, die es einem gewissen Gottfried Semper erlaubte, das Textile, verstanden als anthropologisches Prinzip, sowie Architektur und andere Künste miteinander kurzzuschließen. Mergelmeyer aktiviert diese Position und überführt sie ins Zeitgenössische, indem er über ein derart konzeptuelles Verständnis des Textilen Elemente und Materialien aus so vermeintlich getrennten Bereichen wie Kunst und Architektur, Mode und Design neu lesen und in die künstlerische Arbeit integrieren kann. Solch ein konzeptuelles Verständnis des Textilen als Medium bildet eine wesentliche Grundlage für die gesamte skulpturale Arbeit. Zugleich dient sie dazu, dass zwar anspielungsreich auf überaus heterogene Bereiche Bezug genommen wird, diese Bezüge aber ebenso aufgehoben werden und sich neue skulpturale Körper formieren können.

 

Als eigene Körper, Formen, Gegenstände ist David Mergelmeyer mit seinen Arbeiten daher weniger an einer Behandlung des Textilen interessiert, durch die allein dessen skulpturalen Qualitäten anerkennt würden, „the creation of sculptural shapes of interlaced threads“, wie es in der Einleitung zu der paradigmatischen Ausstellung Woven Forms (1963) hieß. Eher noch lassen sich die Arbeiten in eine künstlerische Tradition einschreiben, die das Textile – nun als Material begriffen – als prädestiniert für Strategien der Reihung und Kreuzung von Kategorien verstand. Sei es im Sinne einer Irritation des Figürlichen – die sich in textiler Softness präsentierenden Sandwiches und Burgers von Claes Oldenburg –, sei es allgemeiner im Sinne einer Kombination von Materialien, die diese in ihren imaginativen und sensuellen Qualitäten betonte, das, was Lucy Lippard wenige Jahre später unter „Eccentric Abstraction“ verhandelte. Und natürlich hat auch dies seine Vorläufer, namentlich in einer surrealistischen Tradition, die das Vertraute als entfremdetes zeigen, es einem anderen Blick unterziehen wollte – das notorisch und auch hier zitierte Déjeuner en fourrure von Meret Oppenheim (1936) –, oder die sich daran machte, dieses Vertraute gleich ganz aufzulösen: die kryptischen Objekte Yves Tanguys, ca. 1930, seine halluzinativ-verflüssigten Oberflächen, nicht zu vergessen De l‘autre côté du pont (1936).

 

Wenn bereits Yves Tanguy mit seinen Objekten einer Formgebung folgte, die ausgehend von einer Fragmentierung des Gegenständlichen dem Gesetz einer unvorhersehbaren Addition von Formen folgte, scheint sich solch eine Reformulierung von Körperlichkeit auch in den Textilskulpturen David Mergelmeyers fortzusetzen. In Russian Twist (2022) etwa werden auf beige-gestepptem Stoff ein Wiener Geflecht und schwarze Gummiseile miteinander verschnürt, erstreckt sich über einer Kombination aus neongelber Decke und Kissen eine pastorale Schärpe aus Sackleinen, um schließlich in einen voluminösen, stahlrohrumkränzten Kopfmagen aus Rippstoff einzumünden: ein Kafkaeskes, indes gemütlich-handzahm gewordenes Insektending, das versponnen vor sich hin summt, eine Schlafgelegenheit, unter deren Oberfläche die Adern leicht zu pulsieren scheinen und die selbst nur darauf wartet, sich aus ihrem Mittagssnooze zu räkeln.

 

Zugleich ist das nur die halbe Miete. Nicht nur entsteht hier eine skulpturale Sprache des Nicht-Binären, in der Unterscheidungen des Menschlichen und Nicht-Menschlichen, Organischen und Synthetischen, nicht zuletzt geschlechtlicher Kodierungen aufgehoben ist. Nicht nur dehnt sich hier eine skulpturale Körperlichkeit unter jenen Strategien der Addition, der Kreuzung und Rekombination von Bezügen aus Mode und Interieur, Kunst und Architektur neu aus. Verbunden ist damit auch eine kritische Wiederaneignung des Textilen. Wenn diese basale Kulturtechnik heute derart degradiert wird, dass ihre Erzeugnisse in immer rasanter ablaufenden Produktionszyklen Richtung Wasteland geschickt werden – eine Karikatur nicht nur des Zyklischen der Mode, sondern auch all ihrer Beteiligter (ein Euphemismus) –,

wird das Textile hier als Körper selbst zu Gegenentwurf und Intervention. 

 

Über die Formierung neuer Körper gilt dies schließlich noch in einer Weise, die den konstruktiven Aspekt des textilen Materials mit seinen performativen Eigenschaften verknüpft. Dieses Faszinierend-Doppelgesichtige des Textilen zeigt sich etwa in Ego Dancer (2022), wenn eine Konstruktion von ganzen 43 Metern bedruckter Meshplane, ziehharmonikaartig gestaucht, zu einer Marschkapelle animiert wird, die bei so viel Beschwingtheit kurzerhand wieder in den Raum purzelt. In Scraper Pink (2023) wiederum, scheint der Häkelstich, der an beiden Seiten der Arbeit gen Boden klettert, in seiner Überdimensioniertheit on the move ertappt. Wenn sich die Textilskulpturen Mergelmeyers dabei immer wieder in den Rezeptionsraum ausdehnen, ist es nicht zuletzt dieses Performative, die sie zu Kommunikationspartnern macht – die Situation der Betrachtung wird zu einer der (potentiellen) Interaktion. 

 

In dieser Verknüpfung von Konstruktion und Performanz wird das Textile kulturanthropologisch gewendet. Als Technik, die etymologisch „bauen, flechten, verfertigen“ gleichermaßen einschließt und so die Beziehung zwischen dem Menschen und dem von ihm Produzierten als die eines unabschließbaren Machens betont, wird mit ihr die künstlerischskulpturale Arbeit in die Alltagswelt und auf ihre sozio-ökonomischen Bedingungen rückgeführt, als Tun aber zugleich von ihr losgelöst. In diesem umgreifend-konzeptuellen Verständnis als Medium, Material und Technik ist das Textile bei David Mergelmeyer so weder allein Stoff für die skulpturale Arbeit noch Kondensat abstrakter ästhetischtheoretischer Fragen. Es ist nicht der Effekt eines vorgängigen künstlerischen Programms, mit dem auf jenes wie? reagiert würde. Gerade in ihrer Tendenz, sich als textile Körper performativ in den Raum auszudehnen, sind sie mehr als alles andere offene Möglichkeit, neue Verbindungen zu schaffen.

new talents 2022 step two

Die Anleihen ans Alltägliche, an eine vordergründig vertraute Dingwelt sind unverkennbar in den Textilskulpturen von David Mergelmeyer. Ein Wiener Geflecht, unter Entledigung seiner Funktion in einen skulpturalen Körper transplantiert, die Abformung eines Objekts, ins irritierende Weich eines Baumwollstoffs vernäht. Adressiert werden mit diesen unterschiedlichen Strategien der Bezugnahme die Kontexte und Konventionen, die die uns umgebenden Gegenstände so scheinbar mühelos handhabbar, die uns umgebenden Körper so scheinbar eindeutig lesbar machen – und uns zugleich darüber hinaus gehen lassen.

In Squad etwa, einer für den Außenbereich entwickelten Arbeit, entfalten die drei schirmartigen Elemente schon in ihrer Objekthaftigkeit eine spannungsreiche Semantik: nüchterner Funktionsbezug vs. barockes Rüschenkleid vs. hochgepitchtes Designobjekt, der Synthetikstoff im glossy Chic bonbon-bunter Farbverläufe. So wie die Skulpturengruppe ineinander verschlungen, verknüpft, verhakt ist – die Funktion mit dem Bann eines Laokoon-Effekts belegt –, gewinnt das Ensemble aber ebenso anthropomorphe Qualität, ein Kader konzentrierter Einsatzkraft, in konspirativen Vorbereitungen für den nächsten taktischen Zug vertieft, zugleich nicht ohne eine gewisse homoerotische Zuneigung füreinander. Nota bene: Auch Schirme haben Gefühle (ein Schirm ist ein Kleid ist ein Mann ist ein Bild).

Dass solch eine Verwirrung vermeintlich vertrauter Kategorien, allemal im Medium des Textilen, nicht ohne Vorläufer ist, versteht sich von selbst. Eine entsprechende Genealogie könnte das fellbekleidete Teeservice Meret Oppenheims ebenso umfassen wie die kuschelig-köstlichen Cakes von Claes Oldenburg oder das, was Lucy Lippard einige Jahre später unter dem Titel „Eccentric Abstraction“ verhandelte. Allerdings ist Mergelmeyer nicht am sinnfälligen Effekt einer surrealistischen Ars Combinatoria gelegen, so subtil diese ihr Gegensätzliches auch reformulieren mag.

Was hier stattdessen entsteht, sind neue Körper, eine animistische Dingwelt des Nicht-Binären, in der Unterscheidungen des Menschlichen und Nicht-Menschlichen, Organischen und Synthetischen, nicht zuletzt geschlechtlicher Kodierungen aufgehoben sind. Offen bleibt dabei der mediale Status des Textilen. So ist Cradling Bild wie Embodiment der im Titel angesprochenen Care-Arbeit, ist Interieur und Environment, ist performativer Raum, in dem Bewegung entsteht. Story upon story werden so die Kräfte fokussiert, die die textilen Techniken insgesamt auszeichnen, story upon story wird der Stoff zu Fleisch.

 

Sebastian Hammerschmidt

NEW Talents 2022

1.6.-30.6.2022

Fuhrwerkswaage Köln

Kuratiert von Nazgol Majlessi und Jochen Heufelder

with new works by...

sebastian hammerschmidt 

Schon in ihren Formbezügen entfalten die Arbeiten David Mergelmeyers immer wieder ein Moment hintergründiger Irritation. In „bis zum äther“ (2021) darf auf militärgrünem Synthetikstoff ein denkbar reduziertes Element aus gestepptem Nylon Platz nehmen, um darin unversehens figürliche Qualität zu gewinnen. In „bound wound“ (2020) wird die auf dem Boden liegende amorphe Form – mit Nylonkordel an ihr vertikales Kissenpendant gebunden – von einem Moment zum nächsten zu einem allzu exzessiv genossenen Kaugummirest, wird zu einem Sitzkissen wird zu einem … Dabei greift dieses Moment von Irritation und subtilem Witz, das sich derart anspielungsreich im Gewand textiler Softness präsentiert, nicht selten auch in den Rezeptionsraum aus, scheint ihn nachgerade zum Aktionsraum machen zu wollen. Denn durch den pointierten Umgang mit sowohl natürlichen als auch synthetischen Materialien unterstreichen die Arbeiten nicht nur ihren haptischen Zug; immer wieder scheinen sie eine Reaktion geradezu herauszufordern. Wenn etwa in „bis zum äther“ ein schwarzes Samtkissen sich überaus einladend-anschmiegsam gibt, ist es zugleich so platziert, dass auch ein impulsiver Schlagabtausch nicht weniger naheliegend erscheint. Die Arbeiten Mergelmeyers sind so gesehen weniger abstrakt-autarke Arrangements denn Kommunikationspartner, die – textile Halbhybride – mit ihrem Moment von Abweichung und produktiver Störung nicht zuletzt dasjenige Normative von Verstehen und Handlung in den Fokus rücken, an das Kommunikation als gelingende scheinbar selbstverständlich orientiert ist.

Sebastian Hammerschmidt

für Markus Lüttgen, 2021

The works of David Mergelmeyer (b. 1985 in Bocholt, Kunstakademie Düsseldorf, class of Prof. Thomas Grünfeld) consistently disclose a subtle element of irritation, even in their formal aspects. In bis zum äther (2021), a highly austere component made of quilted nylon is laid on a military-green synthetic fabric, unexpectedly acquiring a figurative quality. In bound wound (2020), an amorphous form lies on the floor, tied with a nylon cord to a vertical pillow counterpart. From one moment to the next, it becomes the residue of an excessively savored chewing gum, or a seat cushion, or even… Meanwhile, this element of irritation and subtle humor, which comes across so allusively under the guise of textile softness, not infrequently takes hold of the reception space, seeming to want to turn it into a space for action. The works’ trenchant use of both natural and synthetic materials not only underscores their haptic appeal but, time and again, they also seem to demand a reaction. In bis zum äther, for instance, a black velvet cushion may seem extremely inviting and cuddly. At the same time, it is placed in such a way that an impulsive exchange of blows seems to be no less plausible. From this perspective, Mergelmeyer’s works are not so much abstract and self-sufficient arrangements as communication partners. With their element of deviation and productive disruption, these textile semi-hybrids bring into focus what is normative in our understanding and action, and which also seems to be the basis of communication as a successful enterprise.

Sebastian Hammerschmidt

for Markus Lüttgen, 2021

a performative journey

La galerie Jeune Création accueille du 9 janvier au 5 février 2022 l’exposition A performative Journey, une proposition de Triovisible (Diane Chéry, Lou Le Forban, Félix Touzalin) et qui présente les oeuvres de Alexandre Boiron, Pauline Brami, Javier Carro, Pauline D’Andigné, Caroline Delhom, Elisa Florimond, Corentin Leber, Sehyoung Lee, Thomas Lefèvre, David Mergelmeyer, Eugénie Touzé, et les performeurs Saija Alexandra Kangasniemi, Diane Chéry, Lou Le Forban, Félix Touzalin, Kobas Verschurren, Yixuan Xiao.

 

A performative Journey est le rêve d’une exposition-spectacle où oeuvres plastiques et corps humains travaillent de concert à l’élaboration d’un nouvel espace, d’un nouveau temps, d’une nouvelle narration. Le projet tire son origine d’un questionnement lié aux relations qui unissent les oeuvres d’art contemporain à leur public. Pourquoi les expositions nous laissent-elles si souvent indemnes ? Notre travail a consisté en l’invention de protocoles multiples (composition d’une image, création de récits, recherche d’un langage textuel, chorégraphique et plastique) à partir et avec les oeuvres des artistes que nous aimons.

La mise en scène d’A performative Journey nous permet de jouer ce double rôle de commissaires d’expositions et de performeurs pour créer des interstices fictionnelles dans l’espace réel de l’exposition. L’écriture de ces fictions est faite de va-et-vient entre les récits proposés par les artistes et une écriture collective au sein de notre trio. L’espace de la galerie est transformé en terrain de jeu et d’exploration pour un groupe de personnages qui, le temps de la performance forment une communauté d’idiots ou d’excentriques émotifs qui tentent de vivre ensemble face à l’émergence de la catastrophe.

 

Galerie Jeune Création
43 rue de la Commune de Paris
93230 Romainville

Vernissage le 9 janvier 2022 de 14h à 18h
Ouverture jusqu’au 5 février du mar. au ven. de 11h à 19h
le sam. de 14h à 18h

 

Performances

  • 9 janvier 17h30

  • 21, 22 janvier 18h30

  • 4 février 18h30

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